Webster G. Tarpley
Zehn Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ist es an der Zeit, einmal zu betrachten, was genau über die damaligen Ereignisse bekannt ist. Wie Leopold von Ranke einst betonte, ist es die Aufgabe der Geschichtswissenschaft, das Vergangene so zu begreifen, »wie es eigentlich gewesen ist«. Nach diesem Standard müssen wir uns fragen: Was wissen wir denn wirklich über den 11. September?
Ein ernsthafter Historiker beginnt seine Nachforschungen nicht in der Absicht, Verschwörungen aufzudecken. Er folgt vielmehr der Spur, auf den ihn die Beweise lenken, was allerdings bedeuten kann, dass er auf Verschwörungen stößt. Zugegebenermaßen gibt es solche Verschwörungen immer seltener angesichts der möglichen Extreme des Gemeinwesens, nämlich einer totalitären Tyrannei einerseits oder rein spontaner Massen andererseits. Doch zwischen diesen beiden Extremen liegen breit gefächerte Formen gesellschaftlicher Ordnung, die man als mehr oder weniger oligarchisch und als mehr oder weniger plutokratisch charakterisieren kann, wobei sich beide durch Verschwörertum auszeichnen. Das gilt insbesondere für das anglo-amerikanische System, das zu einer polyzentrischen Oligarchie von Bankern und Finanziers geworden ist. Hier sind Komplotte und Verschwörungen alles andere als selten.
Fatale Fehler in der offiziellen Darstellung der US-Regierung
Schon in den ersten Wochen nach dem 11. September hatte die US-Regierung, genauer gesagt Außenminister Colin Powell, einen offiziellen Untersuchungsbericht – ein so genanntes »White Paper« – versprochen, der jedoch nie erstellt wurde. Die britische Regierung unter Tony Blair gab ein Dokument heraus, das jedoch allgemein als wenig oder gar nicht überzeugend bezeichnet wurde. Auf Druck der Öffentlichkeit musste die Bush-Regierung ihren anfänglichen Widerstand gegen die Bildung eines breit angelegten Untersuchungsausschusses schließlich aufgeben. Zunächst wurde noch versucht, Henry Kissinger die Verantwortung für die Untersuchung zu übertragen, doch diese Nominierung rief allgemeine Entrüstung hervor. Stattdessen bescherte man uns die Kean-Hamilton-9/11-Commission, die dann im Mai 2004 ihren Bericht vorstellte. Diese Kommission war von Anfang an mit erheblichen Interessenkonflikten belastet. So hatte Philip Zelikow, der geschäftsführende Leiter, gemeinsam mit der Direktorin des Nationalen Sicherheitsrats
Condoleezza Rice ein Buch verfasst, musste also als deren Geschäftspartner betrachtet werden. Ein weiterer schwerer Schlag war der Rücktritt von Ex-Senator Max Cleland aus Georgia, der als Zeichen des Protests gegen »eine versuchte Vertuschung durch das Weiße Haus« aus der Kommission ausschied.
Der Bericht der Kean-Hamilton-Kommission enthielt eine höchst unwahrscheinliche Saga von Osama bin Laden, al-Qaida und 19 arabischen Entführern, die unter Aufsicht von Chalid Scheich Mohammed (KSM) die spektakulären Attacken ausgeführt hätten. Die offizielle Version der US-Regierung ist in den vergangenen zehn Jahren bei der Öffentlichkeit auf erhebliche Skepsis gestoßen. Ein Grund dafür ist wohl das Eingeständnis von Kean und Hamilton selbst, die in ihrem 2006 erschienenen Buch Without Precedent (Beispiellos) zugegeben hatten, dass sich hochrangige Generäle der US Air Force, des North American Air Defense Command (NORAD) und andere hohe Regierungsvertreter vor der Kommission des Meineids schuldig gemacht hatten, und zwar in kritischen Fragen der genauen zeitlichen Abläufe und der Frage, wer im bürokratischen Sicherheitsapparat der USA wann was getan und gewusst hatte. Ein Meineid vor einer Untersuchungskommission stellt eine strafbare Handlung dar, dennoch geschah nichts – was dem Misstrauen über Schönfärberei und Vertuschung natürlich weiteren Auftrieb gab.
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