Hilfe, unsere Kinder verdummen! Was nach einer RTL-II-Nachmittagssendung klingt, ist eine ernst gemeinte Befürchtung von Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung. Wie er darauf kommt? Ganz einfach: Unzählige Eltern kümmern sich in Deutschland selbst um ihre Kinder bis zum dritten Lebensjahr und geben sie stattdessen nicht in eine staatliche Krippe. Dort gehören sie nach Meinung von Herrn Dräger aber mal besser hin. Deswegen äußerte er sich vergangenen Sonntag in einer Sendung des WDR auch mit den Worten, man müsse aufpassen, dass das Betreuungsgeld nicht zu einer »Verdummungsprämie« für Kinder werde.
Das Wort hat großes Potenzial, zum Unwort des Jahres 2011 zu werden und reiht sich ein in andere beleidigende Wortschöpfungen wie »Heimchen am Herd« und »Herdprämie«, die derzeit die Debatte rund um die Einführung eines Betreuungsgeldes bestimmen. Klar ist, wohin die Strategie führt. Es soll ein für allemal klargestellt werden, dass einerseits Frauen, die zu Hause bleiben in den ersten Lebensjahren ihres Kindes, eben nichts weiter können, als am Herd rum zu stehen. Und
jetzt kommt noch die infame Behauptung dazu, dass auch die Kinder, denen man die ach so professionelle Betreuung in einer staatlichen Einrichtung böswillig vorenthält, damit ebenfalls verdummen.
Es ist nicht nur beleidigend, sondern auch noch falsch, was Herr Dräger da im Namen der Bertelsmann-Stiftung propagiert. Herr Dräger fühlt sich jedoch bestätigt durch hauseigene Studien der Stiftung, die angeblich beweisen können, dass Kinder, die in einer Krippe erzogen werden, anschließend eine viel höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen können, auf dem Gymnasium zu landen, als jene Kinder, die zu Hause bei ihren Eltern ihre erste Lebenszeit verbracht haben. Diese Kinder sind dann später angeblich reicher und klüger. Unter Wissenschaftlern gilt diese »Studie« als sehr umstritten, sie bemängeln, dass hier Dinge in Zusammenhang gebracht werden, die nicht zwangsläufig in einem kausalen Zusammenhang stehen. Sprich: Es werden Zahlen gegenübergestellt, es wird aber nicht danach gefragt, ob und welche Ursachen diese hervorbringen.
Tatsächlich gibt es weltweit noch keine einzige Studie, die hätte nachweisen können, dass es Kindern mehr nützt als schadet, wenn sie so früh wie möglich von ihren Eltern getrennt werden. Der Schaden lässt sich allerdings schon nachweisen. So haben die Ergebnisse der amerikanischen NICHD-Langzeitstudie ergeben, dass sich eine frühe Krippenbetreuung bis später im Erwachsenenalter negativ auswirken kann. Die Auswirkungen waren umso deutlicher messbar, je früher und je länger die Kinder in eine fremde Betreuung kamen.
Mit gesundem Menschenverstand braucht man solche Studien nicht einmal. Eigentlich weiß auch die Politik, dass der Einfluss der Eltern gerade in Deutschland enorm wichtig ist für die spätere Bildung und den Erfolg der Kinder. In keinem anderen europäischen Land ist der Bildungserfolg der Kinder derart abhängig vom Elternhaus. Sprich: Kinder die von ihren Eltern intensiv begleitet werden, die nach den Hausaufgaben schauen und ihre Kinder im Lernen bestärken, kommen weiter voran als diejenigen, deren Eltern sich aus den unterschiedlichsten Gründen nicht darum kümmern können. Das ist inzwischen bildungspolitische Binsenweisheit. Doch anstatt anhand dieser Ergebnisse endlich die Eltern zu stärken in ihrem Handeln, wird bei uns in Deutschland genau das Gegenteil gemacht: Wir versuchen, den Einfluss des Elternhauses immer weiter zurückzudrängen und die Kinder in Ganztagskindergärten und Ganztagsschulen – möglichst verpflichtend – von ihren Eltern fernzuhalten. Logisch ist das nicht, es ist Politik!
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